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HOW

28.04.2023

Vor uns liegt heute das längste Stück der Havel-Oder-Wasserstraße (HOW).

Im einzigen Yachthafen auf der Route passten wir gestern wieder perfekt in unsere Parklücke. Wir sind hier bereits bekannt und haben den Platz in der ersten Reihe, ganz vorne, ergattert. Der Hafenmeister gab gerade einen Kurs Bootsführerschein als wir einfuhren. Die Schüler bekamen gleich eine Unterrichtsstunde im Einparken.

In der Zwischenzeit genieße ich unsere Hafenmanöver sehr. Wir legten auf den Zentimeter genau an.

Die Sonne scheint heute freundlich und die warme Luft hinterlässt bei uns endlich eine Idee von Frühling. Die Bäume sind sich noch nicht sicher, ob sie jetzt ihre Blätter öffnen sollen.

Es geht geradeaus. Wir erwarten keine Besonderheiten, müssen uns gewöhnen an Kanal, an große Äste auf dem Fahrwasser, Schubverbände, Lastkahn-Konvois und Eisvögel.

Das einzige Highlight wird die Schleuse bei Lehnitz sein, die uns 9 m in die Tiefe schleust. Wir haben im Vorfeld genügend Zeit und besprechen, wie die Leinen während des Schleusen verlegt werden sollten und dass hierfür Zusammenarbeit erforderlich ist.

Schnell lassen wir die Wasserstraße hinter uns. Ich denke bereits darüber nach, heute zu unserem endgültigen Ziel weiterzufahren. Aber es ist noch zu früh, um zu enthusiastisch zu planen. Am frühen Nachmittag nähern wir uns der Schleuse.

Ich rufe den Schleusenwärter an und frage nach einer Schleusung zu einem späteren Zeitpunkt, ob wir aber am Wartesteg anlegen und einen Blick auf das Denkmal des alten Ziegelei-Hafens werfen können, das auf circa 100 m Fußweg vom Wartesteg entfernt liegt. „Ja, das können Sie! Sie können in 45 Minuten geschleust werden.“

Das hört sich schön an, aber ob wir es schaffen, bezweifle ich noch, Mittagessen und Besichtigung des Denkmals...

Hier wurde im Zweiten Weltkrieg neben dem Wartesteg für Sportboote ein Umschlaghafen für die Ziegelindustrie angelegt. Ein Konzentrationslager wenige Kilometer westlich unseres Wartebereichs stellte hierfür Zwangsarbeiter zur Verfügung.

Das Hafenbecken existiert noch. Hier warfen die Nationalsozialisten 8 Tonnen Menschenasche ins Wasser und Zwangsarbeiter holten im Winter mit bloßen Händen Sand und Lehm aus dem Becken und formten sie in der angrenzenden Fabrik zu Ziegeln.

Einige Skulpturen erinnern an diese Zeit. Der Hafen selbst dient heute als Umschlagplatz für Zement und Natursteine. Gedenktafeln mit Worten der Überlebenden zeugen von dieser traurigen Zeit hier am Wasser.

Ich halte selbst ein paar Minuten inne. Die Wasserstraße hier hat so viel Geschichte. Die Schleuse vor uns hat alles gesehen.





Als ich zum Schiff zurückkomme, sitzen die Männer auf dem Achterdeck und haben gerade ihr Mittagessen beendet ... „Übrigens hat der Schleusenwärter vor 5 Minuten angerufen. Wir können einfahren.“ Naja... das wird es nicht mehr... Wir warten noch eine halbe Stunde, denn im Moment scheint das der Rhythmus einer Runde zu sein, die ab- und wieder aufwärts geht.

Nach einer Weile hören wir über den Lautsprecher die Stimme „Jetzt dürfen die Sportboote einfahren“. Ich drehe mich auf der Achterspring ab, die Jungs lösen die Leinen. Vorsichtig beschleunige ich und nehme mein Tau ab. Plötzlich schreit Norman „Vorsicht, der Pfahl!“ Ich denke mir immer noch, was er meint...

Plötzlich werden wir durch eine Kollision mit einer Dalbe, die in meinem toten Winkel zwei Meter neben dem Wartesteg für Sportboote steht, stark ausgebremst. Ich korrigiere unser Manöver und stoße mit meinem Kopf gegen den liegenden Mast.

„Was für ein Chaos“, denke ich mir. „Das passiert, wenn man zu früh Pause macht!“

Plötzlich schreit Norman erneut: „Der Knoten öffnet sich.“ Ich weiß nicht, was er meint, bis ich sehe, wie unser Fender in die ganz andere Richtung davon treibt ... Na ja. Wenn es schief geht, dann richtig!

Ich melde mich schnell beim Schleusenwärter ab und sage, dass wir nächste Runde dabei sind, weil wir etwas verloren haben. Zwei, drei Kommandos, ein Bootshaken, zwei Matrosen, ein Windstoß von der Seite, damit der Ball eine andere Richtung bekommt und nach einiger Bemühungen haben wir alle Fender wieder drinnen und machen wieder am Warteplatz für Sportbote fest.

Es scheint, dass die Zeitschleuse der Oder uns nun wirklich loslässt und uns zurück in die Realität schickt.

Nach 3 Minuten legt eine Yacht neben uns an. Die Insassen wollen einen Smalltalk beginnen.

„Ahoi! Wartet Ihr schon lange??“ Ich kann nur herzlich lachen.

Nomi genießt währenddessen vom Deck aus den Blick auf die Binnenschifffahrt.

Mit der nächsten Runde werden wir endlich geschleust und befinden uns auf der Havel. Mein Tagesziel ist der Niederneuendorfer See, wo Görings versunkene Kähne liegen. Ich möchte an diesem schönen Ankerplatz schlafen, bevor wir morgen Nachmittag das Ziel unserer ersten Etappe erreichen.