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Warme Brötchen im Oderberger Land

25.10.2022

Hinter dem Schiffshebewerk endet der Barnim, das Plateau, von dem wir 36 m in die Tiefe geschleust wurden. Wir fahren schon die ganze Zeit "zu Berg". Das bedeutet gegen den Strom. Auf künstlichen Wasserstraßen wird die Richtung der Strömung, falls nicht vorhanden, oft festgelegt. Dadurch wissen die Skipper von Binnenfahrtschiffen, wer Vorrang hat. In Deutschland ist das dann Talfahrt, auch auf einem Kanal, der ja eigentlich gar keine Fließrichtung hat.

Hier beginnt eine neuer Landstrich; landschaftlich, historisch und kulturell. Diese Region wird "Oderberger Land" genannt. Ab hier sprechen wir von einer kontrollierten Wasserstraße. Das ist eine natürliche Wasserstraße, die an Stellen, an denen es notwendig ist, die Strömung etwas zu verlangsamen, mit einer Schleuse oder einem Wehr ausgestattet ist. An sich ein natürlicher Fluss mit einigen Seitenarmen. Wir passieren einen kleinen See, an dem sich unzählige Wasservögel versammeln. Die Natur ist wild, die Bäume sind groß. Es hat keinen Sinn, hier auf zu räumen. Niemand braucht das.

Die Sonne wärmt unsere Rücken an einem Tag, der neblig begann. Das erste Dorf, das wir passieren, heißt Oderberg. Wir fahren durch eine kleine Schlucht. Rings um uns herum finden wir Hügel und kleinere Berge, an deren Flanken sich das Dorf befindet: eine alte Wassermühle, Bauernhöfe, Häuser und Scheunen.

Die Architektur und Landschaftskultur haben einen ganz besonderen Charme. Die Region gehört gegenwärtig zu Deutschland. In den Jahren vor der Wiedervereinigung war das natürlich Ostdeutschland. Man sieht aber, dass dieses Land nicht immer deutsch war, sondern dass sich hier in der Geschichte die Grenze zwischen Polen und Deutschland hin und her bewegte. Alte Brücken sind verrostet. Eine Brücke diente mal der Eisenbahn. Ob hier noch ein Zug der Deutschen Bahn fährt, wage ich zu bezweifeln; sicher auch kein Polnischer...

Wirtschaftlich ist dieses Land nicht attraktiv und es scheint ein bisschen in Vergessenheit geraten zu sein. Hier und da steht ein voller Apfelbaum am Wasser. Im Garten genießen die Menschen das letzte Sonnenlicht des Jahres. Die Bauernhöfe sind riesig. Die Gärten auch. Wer hier Gras mähen muss, braucht dafür sicher eine Woche. So ein Rasenmäh-Roboter würde nicht funktionieren, weil es wenig Internet gibt.

Wir werden in der Marina Oderberg erwartet. Es ist Platz für ein 22 m langes Schiff. Die Sonne ist untergegangen, als wir anlegen. Ein freundlicher Herr kommt, um unser Tau an zu nehmen, weiß, dass wir eine Spring brauchen und befestigt die Schlaufe, damit wir schnell und einfach fest sind. Ich erkenne die Stimme vom Telefon. Er führt mich herum, zeigt mir, wo der Kühlschrank mit dem Bier ist, stellt seine Frau vor. Als er hört, dass wir eine Katze haben, wird mir auch sein Kater vorgestellt. Schnell ist eine Planke organisiert, damit Nomi heute Abend spazieren gehen kann.

Hier ist keine Straßenbeleuchtung installiert. Die Nacht ist dunkler als dunkel. Nicht umsonst wird diese Region auch Dunkeldeutschland genannt. Hier tummeln sich Waschbären und auch ein Wolf wurde einmal in der Nähe gesichtet. So begebe ich mich abends doch auf die Suche nach Nomi, nachdem sie sich nicht wie gehabt von selbst sehen lässt.

Einer der Topper mitten im Nichts und Dunkel: Morgen früh liegen an der Rezeption warme Brötchen für uns bereit. Wow... Wieder erweist sich, dass der Empfang wärmer und die Brötchen besser sind, je weniger besiedelt das Land ist. Wir freuen uns drauf. Nebel wird es sowieso geben, also vergnügen wir uns noch einmal mit einem leckeren Frühstück, bevor wir bereit sind für die Oder.