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Im Sog der Binnenschifffahrt

22.09.2022

Seit vier Tagen sind wir auf dem Mittellandkanal unterwegs. Vier Tage lang geht es einfach nur geradeaus. Die Ufer sind weitgehend grün. Von Minden aus folgen wir dieser Wasserstraße bis einschließlich Magdeburg auf 224 Kanalkilometern. Ein Kanal, der eigens gebaut wurde, um die großen Flüsse Rhein, Ems, Weser und Elbe zu verbinden und den Warentransport bis einschließlich Berlin und Polen zu ermöglichen.

Wir passieren Hannover, Braunschweig und Wolfsburg neben vielen kleineren Dörfern und Industrieumschlagplätzen entlang des Kanals: Kohle, Sand, Schrott, Holz, Flüssigkeiten... Große und kleine Frachtschiffe fahren hinter uns und vor uns her, begegnen uns, fahren vorbei. Wir legen jeden Tag mehrere Kilometer zurück. Über UKW hören wir deutsches Geschwätz mit holländischem, polnischem und tschechischem Akzent. Die Schubkombination Edward, der Havelstern, Alter Ego, Iron Maid, Rita und Magda kehren regelmäßig auf unsere Route zurück.

Die Vogelwelt der Weser ist verschwunden. Nur wenige Enten kreuzen unser Fahrwasser. Sie haben nicht einmal Angst vor dem Geräusch des Motors.

Wenn wir kurz zusammenfassen, was an diesem Teil der Reise besonders war, landet einiges auf unserer Liste, obwohl wir nur geradeaus gefahren sind.

Einer der ersten Punkte auf der Liste ist die Besonderheit, gemeinsam unterwegs zu sein; nunmehr 8 Tage lang aufeinander zu wachsen: Jede Schleuse, die wir befahren, ist für uns alle völlig neues Fahrwasser. Wir wissen nicht, was hinter der Betonwand auf uns zukommt. Jeden Tag nimmt der Höhenunterschied in den Schleusen zu. Wir starteten bei Bremen mit kleinen 3 m Höhe und schleusen auf dem Mittellandkanal einmal sogar fast 20 m hinunter. Das ist nur möglich, weil wir das gemeinsam aufgebaut haben. Taue umsetzen im Sekundentakt.

Die Leute auf dem Wasser sind sehr freundlich. Nicht nur, dass sie vier Frauen auf einer Yacht oder einem Boot sehen. Nein, sie sehen vier Frauen auf einem so schönen Schiff!

Ich weiß nicht, wie viele Bilder und Filme von uns gemacht wurden. Ein Highlight war ein Herr Hagen, der mit seinem Auto etwa drei- oder viermal ein Stück weiter gefahren ist und uns dann nochmal fotografiert hat. Auf abenteuerliche Art und Weise gelang es uns, eine Karte ans Ufer zu bekommen, um seine Fotos per E-Mail zu erhalten, wofür wir ihm sehr dankbar sind.

Die Nächte sind unglaublich ruhig und unter den Bäumen und Wäldern ist es sehr dunkel. Wir haben kaum Internet. Auch das AIS-Signal wird nicht regelmäßig gesendet.

Wir sind beeindruckt von so viel Grün rund um ein von Menschenhand geschaffenes Bauwerk. 1906 beginnt der Bau des ersten Teils dieses Kanals zwischen Ems und Weser. Der Kanal wurde zwischen 1911 und 1938 bis einschließlich Magdeburg fertiggestellt. Aufgrund von Kriegshandlungen ruhte die Weiterführung des Projektes. Danach interessierte sich niemand mehr für eine Ost-West-Verbindung. Die Verbindung zwischen Magdeburg und Berlin wurde erst nach der Wiedervereinigung in den 1990er Jahren ausgebaut.

Je weiter wir uns von der ehemaligen Westindustrie entfernen, desto ruhiger werden die Gewässer. Hier treffen wir nur auf Binnenschiffe aus Tschechien und Polen, selten nur ein Schiff aus Deutschland. Die Natur wird noch grüner und wilder. Ab Magdeburg haben wir es plötzlich mit Schleusenwärterinnen zu tun und hier und da sitzt eine Frau hinter dem Steuer eines Binnenfahrtschiffes. Die Mentalität ändert sich auf dem Wasser. Der Raum wird größer.

Die Antilope fährt uns vertraut durch den Kanal. Ein kleines Leck im Kühler konnten wir kurzzeitig mit Kühlerdicht reparieren. Weiter geht's! Wir nähern uns heimischen Gewässern.