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"Die zwee Schwestern und der Bengel"

06.10.2022

Ich merke, dass die Schleusen viel Konzentration erfordern. Ich werde schneller müde und meine Mannschaft ist zu klein, um das Ruder für einen Moment abzugeben. Wir entscheiden uns für die Langsamkeit.

Umdrehen ist keine Option. Der Kanal ist entweder zu eng oder zu flach. Beim Schleusenwärter Drei bittet meine Schwester um einen langen, schmalen Stock, um eine Angel für ihren Sohn bauen zu können. Er ist ein bisschen gelangweilt, aber wir müssen die Stimmung aufrecht halten, wenn wir solche Reisen öfter machen wollen.

Bei Schleuse Fünf bekommen wir einen langen Stock und mit einer Schnur und einem gefundenen Angelhaken ist eine Angel schnell gebaut. Wir werden vom nächsten Schleusenwärter herzlich empfangen. Inzwischen sind wir Kanalgespräch im Finowtal.

"Wie weit wollt ihr heute noch fahren? Soll ich meinen Kollegen oben anrufen?" hallt es durch die nächste Schleusenkammer. Ich rufe meine Schwester. Jetzt ist allen klar, dass wir Schwestern sind.

Der Herr nimmt sein Telefon und wir hören ihn mit seinem Kollegen sprechen: "...ja, bereite die Schleuse mal vor! Die zwee Schwestern und der Bengel kommen heute noch durch!"

Wir müssen lachen. Besser kann man nicht aufgehoben sein.

So schleichen wir durch den ältesten noch schiffbaren Kanal Deutschlands, fast als hätten wir die Langsamkeit selbst entdeckt. Es ist verrückt, dass wir hinterher das Gefühl haben, dass wir viel zu schnell hindurch gefahren sind.

Unterwegs hören wir, dass der Kanal gesperrt und ein Teil der Schleusen automatisiert werden sollen. Frevel! Denn schon naechtses Jahr sollen wie Arbeiten beginnen. Nun wirkt dieses Fleckchen Erde so verlassen... - zählt es doch nachts zum dunkelsten Teil Deutschlands... - aber in Sachen Automatisierung ist auch das Niemandsland leider nicht vergessen...

Schade, man kann hier noch so viel Gastfreundschaft erleben und dieser Kanal wird von den Menschen gelebt, die seit mehr als einem Jahrhundert seine Schleusen betreiben... Die Schleusen benötigen keine elektrische Energie und die Technik ist einfach und vor Ort reparierbar.

Ich treffe die Entscheidung, im Namen meiner Firma und als Skipperin der Antilope eine E-Mail an die zuständigen Behörden und Einrichtungen zu senden. Ich werde den Fortschritt nicht aufhalten können, aber vielleicht kann ich ein Bewusstsein dafür wecken, dass das kulturelle Erbe hier nicht verloren gehen zu lassem, jedenfalls nicht ohne Schall und Rauch.