Intro Photo

Der Tag danach

26.08.2023

Als ich am nächsten Morgen aus meiner Luke schaue, sehe ich einen kleinen Katamaran, der auf Grund gelaufen ist, genau an der Stelle, an der wir letzte Nacht fest lagen. Das beruhigt mich. Er hat wahrscheinlich einen Tiefgang von 30 cm und es passiert ihm auch. Er liegt mitten in der Fahrrinne.

Ich schließe die Luke wieder und lege mich nochmal hin. Später höre ich über UKW-Funk, dass er den Leuchtturm ruft, um zu überprüfen, ob die Tonnen wohl an Ort und Stelle stehen oder sich bewegt haben. 

„Nein“, antwortet der Leuchtturmwärter, „die Tonnen stehen genau an ihrem Platz. Es gibt eine Sandbank im Fahrwasser. Wir wissen das. Ja, das wissen wir!“ Ich muss lachen.

Wir werden einen Tag hier liegen bleiben. Ich habe das Gefühl, dass es in relativ kurzer Zeit ein paar Erlebnisse zu viel waren. Schmunzelnd muss ich an Jan denken, der jedes Mal zweifelte, ob das Wasser wohl zurück kommt.

Innerhalb von vier Tagen hatte ich fast täglich Kontakt zu einem professionellen Schleppunternehmen für große Schiffe. Ihr Fachwissen hinterlässt bei mir einen großen Eindruck, weil ich nun weiß, dass sie schon Schlimmeres gesehen haben. Es war sehr angenehm, sie in einer für mich ungewohnten Situation zur Beratung am Telefon zur Seite haben. Sie verdienen nichts daran und geben trotzdem Tipps, was man am besten tun kann, um das Schlimmste zu verhindern.

Gleiches gilt für den Leuchtturmwärter am UKW-Funk und die Experten der EOC-Schiffsversicherung, die rund um die Uhr in Bereitschaft sind und genau darauf achten, dass man seinen segelnden Untersatz sicher zum nächsten Hafen bringt.

Meine Dankbarkeit ist groß!

Bisher kannte ich das an den Grund laufen nur von Foto's. „Ich lote immer die Tiefe aus, bevor ich trocken liege!“ höre ich die Worte unseres Hafenmeisters von gestern noch in meinem Kopf. „Ich auch", sage ich, „und ich möchte gar nicht dort liegen, wo ich jetzt liege.“

Ich hätte nie gedacht, dass mir das eines Tages passieren kann. Aber es passiert und es passiert sehr unerwartet.

Ich bin müde und habe das Gefühl, dass mein Mut eine Pause braucht. Ich würde gerne noch zwei Wochen unterwegs sein. Zumindest ist das der Plan. Aber gleichzeitig möchte ich in unserem Heimathafen sein. Der Wind wird uns die ganze Woche noch ins Gesicht wehen und wir sind nur zu zweit. Der Herbst zeigt sich diese Woche zum ersten Mal.

Das Einzige, was wir haben, ist Zeit. Wir haben noch mehr als eine ganze Woche Zeit, um nach Amsterdam zu gelangen. Das würden wir schaffen. 

Deshalb lassen wir heute für einen Moment die Gezeiten die Gezeiten sein und gehen mit abgehendem und aufkommendem Wasser mit. Die neue Ankerboje wird an den Anker gespleißt. Bei Tageslicht inspektieren wir unsere Sandbank.

Wir kochen gut, lachen über das Geschehene, geniessen das Essen, schlafen und denken vorsichtig drüber nach, wie es weitergeht. Zum Glück liegen wir wieder gerade.

Ich hätte diese Abenteuer mit niemand anderem als mit Richard erleben wollen, der mit seiner Erfahrung auf der Nord- und Ostsee in allen Situationen die Ruhe bewahrte und mir den Raum gab, zu entscheiden, was wir tun würden.