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Auge in Auge mit dem Seehund

15.06.2023

Wir werden an einem wunderbar ruhigen Sommermorgen im Watt wach. Das Wasser ist schoen tief genug zum Segeln und es steigt noch eine Weile. Wir haben Zeit zum Frühstück vor Anker. Es weht kaum. Vorhetgesagt sind 2 Bft ost, aber das Wetter lässt vermuten, dass es später weniger Wind geben wird..

Die ersten Schiffe, insbesondere Yachten, kommen aus Lauwersoog an. Ich rechne kurz nach. Sie müssen heute Morgen gegen 6:00 Uhr losgefahren sein. Sie segeln vor dem Wind und hoffen, mit der Gezeitenströmung über die Untiefe unter den Inseln hinwegzukommen. Nicht, dass die Sommermorgende im Watt nicht schön wären. Aber ich bin zufrieden mit meiner überdimensionierten Plattbodenjacht und dass ich heute Morgen länger schlafen konnte...

Mit Ausnahme der Geräusche der Ankerwinde fahren wir leise unterm Friesischen Sack los. Ich liebe es. Der Morgen ist so ruhig, dass wir vom Heck bis zum Bug ganz normal miteinander reden können.

Mit dem letzten aufkommendem Wasser und etwas Wind überqueren wir die Untiefe und segeln dann bei abgehendem Wasser auf der anderen Seite wieder ins Tiefe. Wir bleiben etwas nördlich der Fahrrinne. Die anderen Schiffe mit größerem Tiefgang halten sich an die Tonnen. Ein oder zwei sind sehr schnell. Sie segeln mit Motor, weil sie wahrscheinlich schneller über den untiefen Bereich kommen müssen.

Leonie steuert, während ich unten die zweite Runde Kaffee koche. Ich glaube, Martijn putzt sich die Zähne. Als ich meinen Kopf aus der Luke stecke, ruft Leonie „Wir werden von einem Seehund verfolgt“. Wo, frage ich mich? Und wie sie das Tier entdeckt hat, weil es hinter uns her schwimmt. „Er ruft die ganze Zeit.“ Natürlich kann man das nicht überhören. Ein noch junger Seehund. Neugierig bleibt er auf sicherem Abstand, schwimmt ein paar Minuten später an Steuerbord vorbei und ruft und ruft, bis er plötzlich im Wasser verschwindet.

Wir nähern uns der Fahrrinne, die unseren Kurs kreuzt. Theoretisch könnten wir heute durchsegeln. Wir müssen das Borndiep überqueren (siehe Karte). 

Das ist der Nordseestrom zwischen Ameland und der nächsten Insel, Terschelling, und dann entlang des Blauwen Balgs. Das ist eine Sandbank zwischen den Inseln.

Aber wir haben zwei Gründe, dies nicht zu tun. Erstens gibt es nicht genug Wind, um im Gegenstrom unter dem Blauen Balg durch zu segeln. Zweitens – und dieser Grund ist etwas stärker – darf man den Blauen Balg in einem bestimmten Zeitraum vor und nach Ebbe nicht unterqueren, da er ein Naturschutzgebiet und Rastplatz für Robben und Wattvögel ist.

Vier Stunden nach der Abfahrt ankern wir erneut auf einer Sandbank südwestlich des Amelander Hafens. Hier essen wir zu Mittag und machen ein Nickerchen in der Sonne. Es weht kaum. Stille.

Zwei Stunden später ist wieder Ebbe. Zeit, das Abendessen für später vorzubereiten.

Und dann noch zwei Stunden und wir sind wieder flott und können weiterfahren.

Unsere Route für den Abend ist so berechnet, dass wir offiziell unter dem Blauen Balg hindurchfahren dürfen. Entgegen der Wochenvorhersage dreht der Wind auf Nordnordost und frischt bis zu 4-5 Bft auf. Wir brauchen die Windstärke, wenn wir gegen die Strömung der Gezeitenbucht ansegeln wollen. Es wird ein Am-Wind-Kurs.

Wir versuchen, so viel Höhe wie möglich zu halten und so lange wie nötig im untiefen Teil des Borndieps unterhalb von Ameland zu bleiben. Hier ist die Strömung etwas kleiner als in mitten im Nordseestrom. Mit einer Geschwindigkeit von 2,5 Knoten über Grund erreichen wir rechtzeitig den Blauwe Balg. Eine gute Geschwindigkeit zum Essen und Genießen des Abends. Wir sind die einzigen Segler auf dem Wasser. Der Abend und Sonnenuntergang ist nur für uns - so scheint es.

Leonie entdeckt mit einem Fernglas zwei Schweinswale unter der Westküste von Ameland, kurz bevor wir das Borndiep überqueren. Auch hier müssen wir möglichst viel Höhe halten, wollen wir nicht zu weit von der Strömung zurückgedrängt werden.

Wir erreichen problemlos den Eingang des Blauwe Balgs. Eine Robbenfamilie liegt noch im Sand, bevor das Wasser wieder steigt. Einige Seehunde spielen im Wasser und beobachten uns.

Wir ändern den Kurs, folgen dem betonnten Wasserweg und trimmen wieder auf den Friesischen Sack.

Im letzten Drittel des aufkommenden Wassers ist die Strömung geringer und wir segeln mit sehr geringer Gegenströmung in das Terschellinger Watt. Hier suchen wir uns einen Platz für die Nacht und mit der untergehenden Sonne fällt der Anker.

Stille eines Sommerabends am Watt. Nur das Plätschern der Wellen gegen das Schiff ist noch zu hören.