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Auf dem Anker

24.08.2023

Es passierte im östlichen Watt nordwestlich des kleinsten Seehafens der Niederlande – Noordpolderzijl. Zwischen Tonne ZOL20 (Südost-Lauwers) und ZOL22 hatten wir den Gegenwind satt und wollten das schöne Wetter genießen, die Wunder diesen Ortes und dass alle Schiffe, die mit uns unterwegs waren, weiter fahren wollten.

Wir hatten es nicht eilig!

Der Abend war atemberaubend schön, ruhig... der Himmel voller Sterne und die Milchstraße leuchtete über unseren Köpfen. Das Wasser war weg, die Wattvögel waren mit der Flutlinie verschwunden... vor allem war es eine der letzten schönen Sommernächte hier draussen. So wunderbar, dass Andrea mich fragte, ob sie draußen unter den Sternen in ihrer Hängematte schlafen könne.

Hier im Ostwatt dauern die Gezeiten länger. Man liegt deshalb auch länger trocken. Die Nacht war so ruhig, der Wind war komplett verschwunden und nach der Erschöpfung und dem unruhigen Schlaf der letzten beiden Nächte auf turbulenterem, dynamischerem und stärker fließendem Wasser habe ich extra tief geschlafen.

Als ich um 6:00 Uhr morgens den Kopf aus der Luke steckte, lief das Wasser immer noch weg. Möwen saßen an der Flutlinie vor unserer Luke und die Katzen lauerten durch die Ritzen des Gangbordes den Vögeln auf. Ihre Mägen waren aber schon voll und Wattvögel sind oft so gross, wie die Katzen selbst. Nasse Pfoten holt sich da keine!

Wie an vielen Morgenden überprüfte ich, ob mit dem Anker alles gut gegangen war. In den letzten beiden Nächten war ich noch rechtzeitig draußen, um bei Bedarf das Schiff auf Motor zu bewegen, falls es mit Wind, Strömung und Anker mal schief gehen sollte. Heute Morgen ist mein gelber Ankerball verschwunden.

Letzte Nacht habe ich beschlossen, nicht rauszugehen. Wo wir jetzt waren, war es ruhiger und es wehte überhaupt kein Wind. Ich hatte die Fließrichtung des abfließenden Wassers abgeschätzt und ging, mich sicher fühlend, zu Bett.

Aber so ist es um 6:00 Uhr morgens: Da schaut man nach draußen und verfolgt vom Vordeck aus die Ankerkette, wie sie in einer Schlaufe neben dem Schiff liegt, etwa 10 cm entfernt vom Rumpf und der Anker schaut nur noch mit einer Hälfte vom Stock - da es sich um einen Stockanker handelt - neben dem Wärmetauscher heraus.

„In unserem Museumshafen liegt ein Klipper namens Emanuel. Der hat einen Stockanker mit schräg verbogenem Stock“ schoss es mir durch den Kopf. Es sind nur noch knapp 5 cm Wasser übrig und durch die Brechung der Wasseroberfläche wirkt mein Stock plötzlich auch gebogen. "Nun weiss ich endlich, wie man den Stock verbiegt" denke ich weiter.

Die Sonne scheint. Es ist ruhig. Es ist 6:00 Uhr. Ebbe ist erst um 10:30 Uhr. Ich kann im Moment nichts tun. Ich gehe wieder ins Bett... Ich werde noch einen Moment schlafen. Um 7:30 Uhr denke ich, ich muss anfangen, über eine Lösung nachzudenken. Ich werde erst sehen, ob die Antilope leck ist, wenn das Wasser zurückkommt ... Erstmal frühstücken und mit meiner Crew besprechen, wie wir damit umgehen.

Auf jeden Fall schaut der Stock des Stockankers nicht durch den Schiffboden hindurch nach oben... Beim zweiten Kaffee rufe ich die KNRM-Hotline an. Für Schiffe über 22 m sind sie jedoch nicht zuständig und es muss derzeit niemand dringend gerettet werden. "Konsultieren Sie also einfach die Seite der niederländischen Küstenwache!" lässt mich der nette Herr am Telefon wissen.

Auf der Homepage der niederländischen Küstenwache gibt es viele Adressen von Bergungs- und Abschleppunternehmen. Wir sind schließlich auf dem Weg nach Lauwersoog, daher scheint mir Bos Marine Services am besten geeignet zu sein.

Ich rufe an. Es ist inzwischen schon nach 8:30 Uhr. Der Chef ist am Telefon, Jelle Bos. Aufgrund seiner Erfahrung in der Schiffsbergung stellt er einige kluge Fragen. Ich lege auf und wir überprüfen seine Andachtspunkte. Es ist schön zu wissen, dass jemand mitdenkt und bereitsteht.

Andrea ist aus ihrer Hängematte gestiegen und gräbt in ihrer Schlafanzughose mit einer Schaufel den Anker frei. In der Zwischenzeit rufe ich die Notrufnummer der EOC Schiffsversicherung an. Die reagieren schnell. Innerhalb weniger Minuten ruft mich ein Experte zurück und stellt alle möglichen Fragen zur Situation.

Zum Glück können wir ein paar Fotos schicken. Ich glaube nicht, dass der Boden kaputt ist. Der Anker hat sich größtenteils eingegraben. Aber das weiß man erst, wenn das Wasser kommt.

Ob es eine Delle in der Oberfläche des Bodens gibt. Nein! Nicht im Maschinenraum und auch nicht auf der anderen Seite des Stahlschotts. Ich bin immer noch dabei, die Dielen durchzusägen, um besser daran zu kommen. Ich kann keine lose Niete finden. Keine nennenswerten Schäden, die den Schluss zulassen, dass möglicherweise ein Leck entstanden ist.

Um 10:30 Uhr kommt das Wasser endlich zurück. Wir bekommen alle 15 Minuten einen Anruf. Die Versicherung, die Versicherung, der Bergungsdienst und die Versicherung. Ich möchte den Boden des Schiffes unbedingt sehen und der Gutachter schlägt auch eine Probeinspektion vor. Natürlich wollen wir noch ein paar Tage Urlaub machen und das ist nicht wirklich möglich, wenn man nicht weiß, ob es einen grösseren Schaden gibt.

Jelle Bos ruft an und fragt, wie wir den Schaden begrenzen, wenn das Schiff wieder treibt. Eine Weile werden wir über dem Anker schaukeln. Auch hierfür haben wir eine Lösung und boren die Schwerter mit unserem Körpergewicht ganz tief in den Sand. So tief wie den Anker ... „Wenn es kein Leck gibt“, sagt Jelle Bos, „dann könnt Ihr einfach mit Eurem Urlaub weiter machen und wenn Ihr in Lauwersoog sind, können Ihr auf die Werft und nachschauen.“

Es wird schnell klar, dass wir kein Leck haben. Ich vermute, dass der Anker unter der Stahlschottwand des Maschinenraums gelandet ist. Wärmetauscher und Boden scheinen von innen in Ordnung zu sein.

Ich bin ein Glückspilz. 

Da wir beschäftigt sind mit der Verarbeitung dieser Erfahrung , habe ich das Schreiben einiger Logbuch-Geschichten pausiert. Ich mache mir jeden Tag Notizen. Die Fotos befinden sich in den richtigen Ordnern. Und sobald ich im Heimathafen bin, werden die Geschichten online gebracht werden. Natürlich waren wir bei den Traditionsschifftagen in Leer, ankerten bei Delfzijl im Emsdelta, suchten unsere Kontaktlinsen auf dem deutschen Watt, verbrachten eine Nacht auf einer schrägen Sandbank und trotzten dem nervigen Gegenwind.

Im Moment bin ich sehr beeindruckt und dankbar mit der Erfahrung und dem Fachwissen von Jelle Bos und Bos Marine Services. Darüber hinaus schätze ich die Expertise und den Rat von Leo Breedveld, der die Testinspektion am 26.08.2023 im Auftrag von EOC Schiffsversicherungen durchgeführt hat.

Vielen Dank für die Beratung, die Bereitschaft und die angenehme Atmosphäre während dieses spannenden Erlebnisses.